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Channel: Alltag eines Radfahrers » Parkwege
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Der Mann auf der Parkbank

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ParkbankSie ist mir vertraut, die Strecke, die ich morgens zur Arbeit benutze und am Nachmittag auf dem Weg nach Hause befahre. Vertraut sind mir die Straßenbeläge und Schlaglöcher, die sich eigentlich nie ändern. Bekannt sind mir die Häuser, an denen ich vorbei fahre. Selbst die jahreszeitlichen Veränderungen, die sich an den Bäumen zeigen, sind mittlerweile vertraut, weil wiederkehrend. Und es gibt Menschen, die mir immer wieder begegnen auf dem Weg, den ich mit meinem Fahrrad nahezu täglich nehme. Ich erkenne ihre Gesichter, als ob ich sie näher kennen würde. Deshalb irritiert es, dass einer dieser Menschen nun fehlt.

Es ist ein kleiner Mann mit einem runden Bauch, den ich seit längerer Zeit nicht mehr gesehen habe. Er fiel mir im letzten Sommer auf. Auf dem Heimweg fahre ich immer durch einen Park. Dort gibt es eine Reihe Parkbänke, die den Verweilenden einen schönen Blick auf die Wiesenfläche erlauben und auf die Menschen, die sich dort auf Decken zum Sonnenbaden oder Lesen niedergelassen haben; auf die Feuerwehrmänner, die ihre Laufrunden zur körperlichen Ertüchtigung drehen; auf die Sportlichen, die an den metallenen Sportgerüsten ihre Turnübungen vollführen. Und auf einer dieser Bänke saß er immer, dieser kleine, rundliche Mann. Nachmittags, wenn ich den Parkweg befuhr. Und weil er im letzten Sommer nahezu jeden Tag dort saß und eine Gemütlichkeit, eine gar nachdenkliche Zufriedenheit ausstrahlte, bemerkte ich ihn. Er saß dort an heißen, von Sonne erfüllten Tagen. Er saß dort an kühlen, wolkigen Tagen. Er gehörte sozusagen zum Bild meines Heimweges. Selbst im Herbst, im Winter und zum Jahresbeginn sah ich ihn bei unterschiedlichen, regenfreien Wetterverhältnissen dort sitzen. Nun habe ich ihn seit einigen Wochen nicht mehr gesehen.

Es ist interessant, dass mir dies auffällt. Irgendwie fällt mir sein Fehlen auf. Und beim Passieren der leeren Parkbank gehen mir Gedanken durch den Kopf: Gönnt er sich einen Urlaub? Besucht er seine Liebsten in einer anderen Stadt? Aber auch: Ist er erkrankt? Ich mache mir Gedanken über einen Menschen, den ich überhaupt nicht kenne, dessen Anblick mir aber zutiefst vertraut ist. Es hatte etwas von tröstlicher Beständigkeit, ihn Nachmittag für Nachmittag dort beim Vorbeifahren zu sehen. Ich hoffe, es geht ihm gut und dass ich ihn bald wieder auf der Parkbank sitzen sehen kann. Denn dann kann ich glauben, dass ihm wohl ist und dass es in dieser unruhigen, von Verflüchtigung gekennzeichneten Alltagswelt so etwas wie Beständigkeit gibt.


Einsortiert unter:Beobachtungen, Radfahren in Köln

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